Vielleicht kennst du diesen Moment: Du hast endlich Zeit zum Durchatmen, alles um dich herum ist ruhig – und doch fühlt es sich nicht wirklich sicher an. Stattdessen kommt Unruhe auf, eine leise innere Anspannung. Fast so, als würde dein Körper dieser Ruhe nicht ganz vertrauen.
Das liegt nicht daran, dass du etwas falsch machst. Sondern daran, dass dein Nervensystem Sicherheit erst lernen muss. Lass uns das mal genauer betrachten.
Warum sich Sicherheit am Anfang fremd anfühlt
Die Polyvagal-Theorie erklärt, dass unser Nervensystem über drei Hauptzustände verfügt:
- Der Sympathikus (Kampf- oder Fluchtmodus): Dein Körper ist in Alarmbereitschaft – Puls und Atemfrequenz steigen, du bist wachsam oder gereizt.
- Der Dorsale Vagus (Erstarrungsmodus): Dein System zieht sich zurück, du fühlst dich erschöpft, überwältigt oder „abgeschaltet“.
- Der Ventrale Vagus (Sicherheits- und Verbundenheitsmodus): Hier erlebst du innere Ruhe, Klarheit und Verbindung zu dir selbst und anderen.
Wenn du lange Zeit in Stress oder Unsicherheit gelebt hast, fühlt sich Sicherheit nicht automatisch vertraut an. Dein Nervensystem kennt eher Anspannung oder Rückzug – und wenn plötzlich Ruhe einkehrt, kann das ungewohnt oder sogar bedrohlich wirken.
Alltagssituationen, die das zeigen
➡ Nach einer stressigen Woche plötzlich Ruhe haben
Kennst du das Gefühl, nach einer intensiven Arbeitswoche einfach nicht abschalten zu können? Dein Körper ist es gewohnt, in Anspannung zu funktionieren. Sobald du auf der Couch sitzt, fühlt sich die Stille nicht entspannend an, sondern fast unangenehm.
➡ Nach toxischen Beziehungen Nähe wieder zulassen
Wenn du in deinem Leben oft Zurückweisung oder Unsicherheit erlebt hast, kann echte Nähe sich erst einmal fremd anfühlen. Dein Nervensystem braucht Zeit, um zu erkennen: Es ist sicher, mich zu zeigen. Ich werde nicht verletzt.
➡ Meditation oder Breathwork fühlt sich ungewohnt an
Wenn dein Nervensystem über lange Zeit im Alarmmodus war, kann es sein, dass Stille sich ungewohnt oder sogar beängstigend anfühlt. Dein System ist darauf programmiert, wachsam zu bleiben – und muss erst lernen, dass Entspannung nichts Bedrohliches ist.
Wie du dein Nervensystem sanft in Richtung Sicherheit bringst
Sicherheit ist keine rein mentale Entscheidung – sie ist eine körperliche Erfahrung. Dein Nervensystem braucht wiederholte Signale, dass du wirklich sicher bist. Diese kleinen Schritte helfen dabei:
✅ Atmung bewusst vertiefen: Eine langsame, ruhige Atmung signalisiert deinem Nervensystem, dass es entspannen darf. Besonders hilfreich: Die Ausatmung betonen (z. B. 4 Sekunden einatmen, 6 Sekunden ausatmen).
✅ Mini-Momente der Sicherheit wahrnehmen: Statt sofort eine tiefe Entspannung zu erwarten, achte auf kleine Momente: Ein warmes Getränk, Sonnenstrahlen auf deiner Haut, ein tiefer Atemzug. Dein Nervensystem speichert diese Mikro-Erfahrungen als neue Referenz.
✅ Sanfte Bewegung integrieren: Wenn Sicherheit sich ungewohnt anfühlt, hilft es, deinen Körper mit einzubeziehen – zum Beispiel durch leichtes Schwingen, Summen oder sanfte Bewegungen wie Dehnen.
✅ Soziale Verbindung nutzen: Co-Regulation ist ein Schlüssel zur Nervensystem-Beruhigung. Ein Gespräch mit einer vertrauten Person, Blickkontakt oder eine Umarmung können deinem System zeigen: Ich bin sicher.
Du lernst es gerade – und das zählt
Wenn sich Sicherheit am Anfang fremd anfühlt, ist das kein Zeichen, dass etwas nicht stimmt – es bedeutet, dass dein Nervensystem gerade eine neue Erfahrung macht.
Jeder Atemzug, jeder Moment, in dem du spürst Ich bin sicher, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Und irgendwann kommt der Moment, in dem du merkst: Dieses Gefühl, das sich einst fremd angefühlt hat, ist jetzt dein neues Zuhause geworden.